Labyrinth ohne Ausgang

Eine Novellensammlung von Sun, Wei

„Das Leben bedeutet nichts – außer dass ich darin die Gelegenheit bekomme zu erleben, zu verlieren, zu scheitern in dieser Welt der Menschen.“

Diese neue Sammlung von acht Novellen der chinesischen Autorin Sun Wei kreist um Begegnungen und Abschiede – menschliche Dramen, die stets ein Echo in den dunklen Winkeln unserer Herzen hinterlassen. Dort, wo „Schönheit aus der Asche und Hoffnung aus der Verzweiflung“ geboren wird.

Sun Wei, eine der bekanntesten Autorinnen urbaner Literatur Chinas, wurde mehrfach literarisch ausgezeichnet. Ihre persönliche Erfahrung, am Rand von Leben und Tod zu stehen, verleiht ihrem Schreiben eine unverwechselbare Tiefe und existentielle Schärfe.

„Ein würdevoller Ausgang ist das Kriterium für eine gute Welt“, schreibt Sun Wei im Vorwort dieses Bandes.

„Wie im Kino – wenn das Licht ausgeht und die grünen EXIT-Schilder rechts und links aufleuchten, verspüre ich eine gewisse Beruhigung. Selbst wenn der Film nicht gut ist, weiß ich: Ich kann jederzeit gehen. Das Leben ist genauso. Nur der Tod ist der EXIT.“

Erzählung 1: Bis zu dem Tag, an dem wir wieder Staub sind

„Ich bin bereit, mein Aussehen, meine Jugend, meine Gesundheit, mein restliches Lebensglück aufzugeben – und wenn das nicht genügt, auch mein Leben –, solange er weiterlebt.“

Im Lichtbogen kniet sie nieder, beugt sich vor, die Stirn auf dem kalten Boden, ihre Lippen warm vom Staub.

Erzählung 2: Viel Glück

„Sieh sie dir an. Sie gewinnt immer.“

Hinter ihr prangt ein riesiges Werbeplakat für Black Jack.

Als ihr die Jetons ins Gesicht geschoben werden, zuckt kein einziger weiterer Muskel ihres Lächelns.

Erzählung 3: Entzündung

Sie spürte, wie ihr etwas in der Kehle stecken blieb, und konnte kein Wort herausbringen.

Er bemerkte nicht einmal, dass ihr Gespräch verstummt war – vielleicht hatte er sogar vergessen, dass sie ihm direkt gegenübersaß.

Erzählung 4: Der Verfolger

In flüchtigen Momenten schenken ihr die exotischen Kulissen, nur wenige Stunden von jedem Flughafen entfernt, eine Ahnung dieser Welt – wie ein Zauberer, der für einen Augenblick die Ecke seines Umhangs hebt.

Erzählung 5: Das Irrenhaus

Mit dem Sonnenaufgang fühle ich im Schlaf das Zittern des Raums.

Ein Knarzen dringt an mein Ohr – ich erkenne, dass es das Schmelzen des Schnees auf dem Dach ist.

Erzählung 6: Die Meister des Betrugs

„Lügner haben wohl die wissenschaftlichste Art zu leben. Wenn du aufhörst zu lügen, musst du ein Narr werden, der pendelt und tut, was sein Chef ihm sagt. Oder du wirst ein Verrückter, der sich von der Welt abkoppelt. Und am Ende verhungerst du.“

Erzählung 7: Abschied

Wir werden vom Regen überrascht. In unseren Ohren hallt das Schweigen der Nacht.

Nach langer Zeit räuspert sich der Vater leicht, als wolle er testen, ob seine Stimme noch zu hören ist. Mit zusammengebissenen Zähnen zischt er der Mutter zu: „Hast du jetzt endlich genug?“

Erzählung 8: Meine Beerdigung

Der Nebel umhüllt uns wie tausend Vorhänge, die Sterne funkeln über dem Wasser.

Meine Arme und seine Schultern glänzen im Mondlicht.

Unser schwarzes Haar schimmert silbern.

Zwischen Himmel und Erde fällt Schnee – doch nur in unserem Traum erscheint er kristallen weiß.

Nachwort: Die unsterbliche Welt

Der Tod verleiht dem Leben seinen unschätzbaren Wert.

Er lässt mich die vielen Schichten menschlicher Gedanken durchqueren, mich verirren, Fehler machen, besessen oder unbesonnen sein, lieben oder enttäuschen.

Er ruft mir in immer lauterer Stimme zu, dass ich nicht nutzlos bin – sondern dass ich von dieser Welt noch so wenig weiß.

Doch immerhin: Solange ich lebe, habe ich die Chance, mich wieder aufzurichten, den Staub abzuschütteln und einem weiteren Sturz entgegenzugehen.

Die Erzählung Nr. 2, „Viel Glück“, befindet sich derzeit in der filmischen Adaption.